Die Gruppe SVOI
Die Gruppe "SVOI" (die Unsrigen) gründete sich 1987 in Leningrad und existierte nur kurze Zeit bis 1992 (nun St. Petersburg). Die Gruppe "SVOI" war bekannt für ihre überaus eigenwilligen und lebendigen Performances, u.a. mit dem "DEREVO"-Theater unter der Leitung von Anton Adasinskij. Das Kunstzentrum "Pushkinskaya 10" in St. Petersburg, die Kunsthochschule "Wera I. Muchina" und die Gruppe "Svoi" sind ein wichtiger Teil zum Verständnis von MAKSA's Kunst.
Die Gruppe SVOI, was so viel wie die „Eigenen“ oder auch die „Unsrigen“ bedeutet, gilt als eine der markantesten Erscheinungen des künstlerischen Lebens im Leningrad der späten 1980er und frühen 1990er Jahre. Dieses einzigartige Künstlerkollektiv wurde schon in der Hochschule in der experimentellen Designerklasse des Professors E. N. Lazarev an der Wera I. Muchina Akademie gegründet. Die erste freie Ausstellung 1987 (an der Muchina Akademie/Leningrader Kunstakademie) nahm die Gruppe der „Eigenen“ zum Anlass, sich als ganzheitlich-schöpferische Vereinigung zu erklären. Nicht auf der Basis irgendeines gemeinsamen Stilempfindens, einer einheitlichen Konzeption, oder sich ähnelnder Ausdrucksformen fanden sie zusammen, sondern als „Vereinigung der unterschiedlichsten Maler, die nichts Geringeres fordern als die individuelle Vision einer Vielzahl von Welten“. Dergestalt über verschiedenste originäre künstlerische Stilarten verfügend, gelang es den Künstlern von SVOI: Pawel Weschev, Dimitri Dudnik, Manja Kotlin, Gipper-Puper (Viktor Kusnetcov), Maksa (Lioubov Maksioutina), Alexander Menus, Sveta Nosova, Herman Petrovych, Alexander Podobed und Michail Tkatschev das Prinzip des offenen Kollektivs zu wahren. Dies geschah in erster Linie in Folge der Aktivierung und Stärkung von Kunstschaffenden in der historischen Epoche der sogenannten “Perestroika“.
Diese Zeit und eine ungehinderte Schaffensfreude, die Lust etwas zu gestalten, ganz ohne ideologisch oder parteipolitisch agieren zu müssen und fern der harten, stilistisch vorgegebenen Gegensätze von „links“ und „rechts“ einen künstlerischen Ausdruck zu finden, der dem Zeitgeist und der Seele der zeitgenössischer Kunst entspräche, verlieh allem was die Gruppe unternahm den Charakter von Improvisation und befreitem Spiel. Es ist kein Zufall, dass sie unter den Ersten waren, die sich in Leningrad, mit Performance beschäftigten – einem Genre, dessen Hauptgewicht nicht nur auf dem Szenischen und Prozesshaften sondern auch in der energetisch verinnerlichten Handlungsabsicht liegt, die ausschließlich im Hier und Jetzt entsteht. Mit anderen Worten, ihre Performance wurde stark von Situationen mit aktiver Publikumsbeteiligung auf öffentlichen Straßen und Plätzen geprägt. *)
In der Regel gab es zu Beginn einer gemeinsamen Aktion kein festes Szenario. Die Initialzündung geschah meist durch eine kurze Erzählung oder gemeinsame Idee, welche solange erörtert wurde, bis jeder die Inspiration fand, das zu tun was er oder sie für richtig hielt. Das konnte eine Sequenz absurden Theaters sein – begleitet von einer Reihe krasser, surrealistischer, schemenhafter und grotesker Bilder – aufgeführt an öffentlichen Plätzen der Stadt – einmalig dadurch, dass die Künstler ihr „Eigenes“ direkt vor den Augen der Zuschauer generierten, dass sie die Malerei in eine räumliche Geste transformierten. Die langjährige Freundschaft der Maler von SVOI mit Schauspielern des Theaterensembles DEREVO erfuhr in diesen ersten Aufführungen eine natürliche Weiterentwicklung. Anton Adasinskij, der Kopf der die Gruppe DEREVO (der Baum) bat die „Eigenen“, für seine Spektakel einen „vor-theatralen“ Raum zu gestalten. In den Jahren um 1989 wurden im Leningrader Kinder- und Jugendtheater LDM Theaterstücke wie „Das Flugzeug“, „Das Kabinett des Doktor Caligari“, „Die Zwei“ gespielt. So auch im Innenhof des Hauses „Puschkinskaya 10“, das damals stürmische Zeiten einer Hausbesetzung durch Kulturschaffende erlebte**). Eine der letzten Errungenschaften der Gruppe war die Gründung des Elektriker-Klubs Karabutova (auch unter dem Namen „ALT-Galerie 103“ unter der Leitung von Svetlana Kosak bekannt.)
„Damals hatte sich SVOI in der großen Gemeinschaftsgalerie No.53 niedergelassen. Wasser, Licht und Wodka waren quasi umsonst, in der Küche lebte ein Igel, der dort die Ratten jagte. Ständig wechselte die Besetzung, jede Menge Ausländer kamen und gingen – Deutsche und andere brachten Dollars. All das ergab eine ganz besondere, ausgelassene Partystimmung. Die berühmte „Rote Welle“ rollte an, als sowjetische Avantgarde absolut angesagt war und mit ihrer großen Popularität den westlichen Kunstmarkt herausforderte. – Die Arbeiten wurden uns, erinnert sich so mancher Künstler, direkt von der Staffelei weggekauft. Trotzdem erklären diese äußeren Umstände bei Weitem nicht das Phänomen der unglaublich fieberhaften Aktivität der damaligen Zeit, in der sich, mit den Worten O. Kotelnikovs, „die Malerei selbst überholte“. Ganz offensichtlich geht von allen Kunstwerken der Maler von SVOI, die zu Beginn der 1990er Jahre entstanden, eine kraftvolle Energie und ein bezwingender Elan aus. Entstanden aus der Verbindung von liebenswerter Naivität, rücksichtslosem Mut und unverwechselbarem Formgefühl. Diese Qualitäten bestimmen eine Malkunst, die sich äußerst unterschiedlich darstellt – nie gleicht ein Werk dem anderen. Das erlaubte den Künstlern sich zu realisieren – und geradezu als erste Vertreter der „Postmodernisten“ vertraten sie die Idee von „Parallelität und Gleichwertigkeit künstlerischer Intention“.
Die überaus eigenwillige Richtung all dieser Maler, die Gruppe SVOI, haben elementar die Entwicklung von Künstlern in St. Petersburg beeinflusst. In einer historisch bedeutenden Zeit und einer sehr kurzen „Epoche“ des Umbruchs. Die Gruppe SVOI brachte sehr starke Wortführer hervor, die bis in die heutige Zeit noch erfolgreich wirken und schaffen. SVOI war schlicht ein Auslöser und auch eine Haltung. Die Gruppe SVOI existierte nur bis 1992.
Von Gleb Erschov
*) Hier liegen MAKSA’s Ursprünge zur Performance.
**) Das freie Kunstzentrum Pushkinskaya 10 in St. Petersburg.
***) Die „Kratz-Technik“ trieb MAKSA später dann in Hamburg auf die Spitze. Es wurde ihr bildnerisches Mittel. Werke von wenigen Zentimetern bis zu 10 Meter langen Motiven zeugen davon.