M a k s a

Von Maria und Natalia Petschatnikovа

Sie hatte etwas Absolutes. Immer schien sie zu wissen, wie etwas sein musste, mit allem kannte sie sich aus: womit man die Gäste, die ihr Atelier besuchten, am besten bewirten, was man auf eine Norwegenreise mitnehmen sollte, sie wusste, in welchem Geschäft es die „richtigen“ Socken oder Gummistiefel gab. Sie liebte es, Dinge auf Flohmärkten zu kaufen, immer fand sie das Richtige. Eines ihrer Lieblingswörter war „authentisch“ – das Echte, Wahre, im Gegensatz zum Nachgemachten oder Verfälschten. Dieses „Echte“ erkannte sie immer und überall.

maksa detail k3Maria und Natalia Petschaschtnikov, Vladimir Volkov (Volkov Trio) und MAKSA auf Kampnagel, Hamburg. Maksa besaß eine sehr exakte, sichere Handschrift. In ihrem Atelier war alles auf Regalen, in eigens angefertigten Schränken und Kästen verstaut, auf denen mit fester, gleichmäßiger Hand KARTON, KLEBEBAND, STIFTE usw. geschrieben stand. Als wir sie das erste Mal besuchten, mussten wir lachen: „Bei dir sieht es ja aus wie in einem Geschäft ...“. Die sichere Hand verriet ihre Herkunft aus der Muchina-Schule in St. Petersburg. In Vor-Computer-Zeiten lernten die Studenten dort noch schöne Schriften für Plakate und dergleichen. Eine derart sichere Hand war uns zuvor schon in New York begegnet – bei der Künstlerin Mascha Ruzina. Auch Maksas Technik (Ölfarben, auf besondere Weise in zuvor mit Kratzern versehenen Karton eingerieben) erinnerte uns sofort an Mascha Ruzinas Arbeiten. Darauf angesprochen, war Maksa sofort im Bilde. Gemeinsam mit anderen Petersburgern Künstlern hatten sie und Mascha die experimentelle Gruppe „Die Unseren“ in der Puschkinskaja 10 gegründet, gemeinsam die ersten Kunstaktionen und Ausstellungen bestritten und gemeinsam die Technik „Öl auf zerkratztem Karton“ entwickelt. In der Technik dieser sogenannten „Kratzbilder“ hat Maksa dann auch überwiegend gearbeitet.

In der Kunst beschäftigte sie sich nur mit dem, was sie wirklich interessierte. Auf ihren abstrakten Bildern wurden die Formen zu prähistorischen Zeichen; oft erinnerten sie an archaische Gegenstände – an Rechen, Eimer, Knoten. Wie Paul Klee, Pablo Picasso, Henri Matisse und Wassili Kandinsky war Maksa auf der Suche nach dem „Sinn“, nach dem, was bei der Form eines Gegenstands, seiner Funktion, in der Wechselwirkung der Gegenstände das Wichtigste war. Es ist kein Zufall, dass der „Punkt“ zum zentralen Symbol ihrer letzten Serien wurde. Der Punkt war für Maksa ein Beginn – der Beginn einer Linie, das heißt, einer Bewegung, Übergang vom Nicht-Handeln zum Handeln. Die wie mit einer Nadel in Metall geritzten harten, schwarzen Punkte auf dem grau-blauen Himmelshintergrund erinnern an Vögel – und tatsächlich sind diese Bilder von einer erstaunlichen romantischen Weltanschauung durchdrungen. Die gleiche Empfindung, die gleiche Suche nach Schönheit lag ihrer „Kuppel“ aus dünner Kunststoff-Folie zugrunde, die von einem Ventilator zum durchsichtigen Gewölbe einer geheimnisvollen Kathedrale aufgeblasen wurde. *)

Nach ihrer akademischen Ausbildung suchte Maksa, ganz wie die Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ihre Formen in künstlerischen Traditionen, die weit vom Realismus entfernt waren. Für sie war das Wichtigste nicht, einen Gegenstand naturalistisch abzubilden, sondern ihn von innen heraus zu verstehen, ihn auf der Suche nach einem tieferen Sinn durch das eigene Innere hindurch zu leiten – ganz wie ein Kind, das einen Menschen mit großem Kopf und kleinem Körper zeichnet und so das Wichtige hervorhebt.

Interessanterweise war Maksa als Lehrerin sehr von der akademischen Herangehensweise an den Unterricht im Malen und Zeichnen überzeugt. Sie war der Meinung, dass die Abstraktion vom Verständnis der realen Welt ausgehen sollte. Deshalb lehrte sie ihre Schüler zu sehen, in die Details eines Gegenstands einzudringen, deshalb bestand sie auf dem Studium der Anatomie von Füßen, Händen und Nasen ... Ihre Schüler liebten sie sehr; sie unterrichtete gleichzeitig an mehreren Schulen in Hamburg, darunter auch an der Volkshochschule und der Malschule der Kunsthalle. Sie gab Privatstunden, und viele ihrer Schüler wurden zu engen Freunden.

Sylvester im AtelierSylvester im AtelierMaksa strahlte Selbstsicherheit und Kraft aus, eine ganz besondere natürliche Energie, die – entschuldige, Maksa! – keine Petersburger Energie, sondern eine „sibirische“ war. Sie zeigte sich in allem: in den riesigen Töpfen mit Borschtsch und Buchweizengrütze, die sie für ihre Freunde im Atelier kochte, im ausgelassenen Lied vom „Brathühnchen“ **), das immer gegen Ende eines Fests gesungen wurde und natürlich – in ihren Bildern.

Aber vielleicht ist diese Selbstsicherheit auch eine Maske gewesen, die sich das kleine Mädchen Maksa-Klecksa, wie man sie im Kindergarten nannte, aufsetzte, um die Schwierigkeiten zu überwinden, mit denen sie konfrontiert war: als sie, noch ganz jung, ihr Heimatstädtchen im Ural verließ, um die Kunstschule in Swerdlowsk, später in Petersburg zu besuchen, die Arbeit als Hausmeisterin, um irgendwie zu überleben und ein Zimmer zu bekommen, die Porträts, die sie für drei Rubel von Passanten auf der Straße machte. Ihr schon in der frühen Kindheit ausgeprägtes Talent, „ähnlich zu zeichnen“ kam ihr dabei zugute. Dann kamen die Muchina-Schule, die Puschkinskaja, in den 1990er Jahren die ersten Ausstellungen in Hamburg und schließlich – Hamburg.

letzes bildDas letzte, unvollendete Bild, 2012. Als wir uns das letzte Mal sahen, bei ihr zu Hause, war Maksa schon sehr krank. Sie trug ihre geliebten Filzstiefel, die sie immer aus dem Ural mitbrachte, weiche, handgemachte sibirische Filzstiefel. In Schränken und Kisten, exakt beschriftet mit festen großen Buchstaben, lagen Medikamente, riesige Mengen an Medikamenten. Aus dem Fenster war der Himmel zu sehen. Maksa konnte ihn stundenlang betrachten und beobachten, wie die Wolken zogen – der Himmel aus dem Fenster ist vielleicht ihr letztes Bild gewesen.

*) Installationen mit der "Kuppel": Eigenarten Festival auf Kampnagel k3 in Hamburg, 2002. Galerie der Gegenwart, Hamburger Kunsthalle, 2003. "Katjas Träume", Bonn, Potsdam, Moskau, 2003 - 2004.

**) Das Lied vom "Brathühnchen" (Zyplenok Jareni) ist ein fatalistisches, fast dadaistisches Lied kleiner Ganoven zu Zeiten der russischen Revolution. Es ist in Russland beliebt und wird in zahlreichen Variationen vorgetragen:

Ein gebratenes Hähnchen
Ein gedämpftes Hähnchen
Auf dem Newski ging spazieren.

Es wird gefangen
Es wird verhaftet
Und man befiehlt: zeig deinen Pass!

Hast du keinen Pass
Schieb Kohle rüber
Is’ Kohle mau – marsch in den Bau.

Is’ Bau geschlossen,
Wird scharf geschossen
Klemmt Knarre wieder – geht Kadi auch.

Bin nicht sowjetisch
Bin nicht kadettisch
Bin ein kleiner Hühner-Kommissar.

Hab keinen erschossen
Hab keinen verhört
Hab bloß Körner gepickt.

Staatsorgane mächtig streng
Ziegenböcke ohne Hörner
Verknacken mich – ich sitz im Bau.

Ich bin geliefert
Ich bin gemeiert
Mir geht’s an die Substanz.

Vom Schicksal kross gegrillt
Vom Richter voll genervt
Will ein Hähnchen trotzdem leben!