Im Radio
Radioreportagen von Ekaterina Filippova, gesendet 2002 und 2003 im deutsch-russischen Kanal „Multi-Kulti“ (heute Funkhaus Europa, Berlin). Sie hat zwei Ausstellungen der Künstlerin MAKSA besucht und berichtet davon.
Reportage 1: MAKSA in der Kampnagel Fabrik in Hamburg, 2002.
„Eigenarten“ - das dritte internationale Festival in Hamburg präsentiert Maler, Schauspieler und Musiker aus den verschiedensten Ländern der Welt, die in der hanseatischen Metropole eine zweite Heimat gefunden und ihre eigene, nationale Kultur mitgebracht haben. Da gibt es brasilianisches Tanztheater und russischen Jazz vom Ensemble Jana Mishenina, das Duo Ulrike Herzog/Nikolai Bakulin mit afrikanischer Trommel und russischem (diatonischem) Akkordeon. Auf „Kampnagel“, dem Hamburger Zentrum für Alternativkultur, sind dieser Tage Premieren und Ausstellungen zu sehen.
Ekaterina Filippova hat die Vernissage von „Sinnspiel – Spielsinn“ besucht, einer Gemeinschaftsausstellung dreier Wahl-Hamburgerinnen aus St. Petersburg: Maksa, Nathalia und Maria Petschatnikov. Extra dazu nach Hamburg angereist, ist Vladimir Volkov, der Virtuose des Petersburger Underground. Volkov unterstützte die ehemaligen Landsleute mit seinem unnachahmlichen Spiel auf dem Kontrabass.
Bei "Sinnspiel-Spielsinn" mag der Eindruck entstehen, als wären die Geschwister Petschatnikov noch nicht ganz erwachsen, als spielten sie nur mit ihren selbstgenähten, ausgestopften Leinensäckchen, die überall aufgehängt sind.
Wir stehen mitten in der Installation. „Natascha, Mascha, was bedeuten all diese grünen Säckchen, die an quer durch den Raum gespannten Fäden hängen? Was bedeutet die ratternde Nähmaschine, die unablässig weiter näht? Was haben Sie Sich dabei gedacht?"
"Wir haben an Organismen gedacht, an Moleküle, an Blattwerk und an Pflanzen. Wir haben an Lebewesen gedacht, die sich ständig teilen und verändern und immer neue Erscheinungsformen hervorbringen – wir haben an das Werden und Vergehen gedacht. Auch die Maschine ist Ausdruck dieses Vorgangs. Sie erzählt, wie sich alles immer und immer wieder vervielfältigt, ganz im Sinne der Zellteilung. Und trotzdem existiert jedes einzelne Säckchen für sich. Es ist ungemein wichtig, denn in jedem dieser Säckchen ist alles enthalten, kannst du alles hineingeben, was du möchtest.
Wir werden immer gefragt, was denn in den Säckchen drin ist. Diese Frage freut uns sehr, denn genau um diesen Inhalt geht es. Es hängt ja weniger von uns, als vielmehr von den Besuchern ab, was darin enthalten sein soll. Jeder hat eine ureigene Vorstellung, was drin sein könnte – und legt es in Gedanken hinein. Für manche ist es ein Geschenk – für andere ein Gedanke. Aus unserer Sicht ist der Zweck der Sache die Erkenntnis, dass etwas so winziges und elementares wie ein Atom, wie ein Molekül oder das Pixel eines Computerbildes schon eine konkrete Sache darstellt, etwas Gemachtes, das Farbe, Form und Inhalt besitzt – und es befindet sich etwas in seinem Inneren. Durch die Fäden bekommen die Säckchen, scheinbar, Gewicht. Sie sind eigentlich nicht schwer, aber es entsteht Eindruck von Schwere. Das ist ähnlich wie bei Maksas Kuppel. Was bei Maksa konvex ist, ist bei uns konkav, eine nach innen gewölbte Kuppel. Das Eine wiederholt sich im Anderen".
Maksa meditiert in ihrer aktuellen Arbeit über den Punkt, d.h. über eine riesengroße Kuppel, in deren Zentrum sich ein Punkt befindet. Die Kuppel hat sie aus Plastikfolie hergestellt. Sie meditiert über diesen einen und über eine Vielzahl von Punkten, die sich nach und nach zu einer einheitlichen Fläche verdichten.
Maksa sagt ein Punkt könne der Ausgangspunkt sein, der Knackpunkt, der Fluchtpunkt oder der Streitpunkt. Er ist winziges Atom – oder großer Planet. Anfang ist er, und Ende. Ein Punkt ist das, was man aus der Ferne sieht. Er ist Kino. "Du weißt, es kommt dort immer wieder ein Punkt zum Anderen. Und noch einer, sie werden ständig mehr. Am Schluss sind es Hunderte. Übrigens, ehrlich gesagt, sehe ich da jetzt einen Schmetterling… Du siehst eine Silhouette und erkennst dich selbst darin. Wir sehen uns alle überall selbst. Leonardo da Vinci, zum Beispiel, hat sich in der Giacconda ja selber abgebildet. Alle sehen wir uns selbst, aus dem einfachen Grunde, weil wir selber für uns und unser Leben der Ausgangspunkt sind".
In den acht Jahren ihres Lebens in Hamburg hat es Maksa zu einer bekannten Künstlerin und vielbeachteten Performerin gebracht.
"Ich kann nicht sagen, ob es mir gelungen ist, oder nicht. Die Vorgaben waren klar: Es gibt Maksa und es gibt einen Punkt, einen Punkt und Maksa. Mehr wusste ich nicht. Ich musste beobachten. Ab und zu konnte ich etwas sehen: Wenn ich etwas sah, entstand etwas Gemeinsames. Das ist, meine ich, das Grundprinzip der Performance: du hast einen Anhaltspunkt oder du hast keine Ahnung. Dann passiert etwas. Vielleicht kann sich daraus etwas Neues entwickeln – oder auch nicht? Es geschieht eben - oder es geschieht nicht!"
Reportage 2: MAKSA in einer Galerie in Hamburg, 2003.
Maksa ist Malerin. Sie wurde in einem Industriestädtchen im Ural geboren und studierte in St. Petersburg Kunst am Muchinski-Institut. Dort schloss sie sich der Künstlergruppe „SVOI“ an. Heute lebt die Künstlerin in Hamburg. Ihre Ausstellungen und Performances sind in Deutschland und europaweit zu sehen. Im eleganten Hamburger Stadtteil Blankenese stellt Maksa in der Galerie Haus Rissen ihre neuesten Arbeiten vor.
Wie Maksa wirklich heißt, weiß (fast) niemand. Den Spitznamen hat sie in ihrer Kindheit bekommen. Sie fühlt sich als Maksa - und das genügt vollkommen. „EBENEN“, so nennt sie Ihre derzeitige Ausstellung abstrakter Arbeiten von Öl auf Karton. Ich frage Maksa, welche Bedeutung dieser Begriff für sie hat.
"Ebenen – es gibt ein Wort aus der orthodoxen Kirche, das wahrscheinlich besser zutrifft, weil es auch die metaphysische Kategorie mit einschließt: Hypostase [die Wand zwischen Kirchen- und Altarraum. Anm.d.Übs.]. Wir neigen meist dazu, uns äußerst umständlich und vielschichtig auszudrücken. Dabei geht es auch schlicht und einfach. In der Schlichtheit entsteht das „Zeichen“. Manchmal erscheint es im Traum, oder auch, wenn man gezwungen ist, sich kurz zu fassen – auch wenn du dich in einen höheren Bewusstseinszustand versetzt. Manchmal wenn ich mich gerade ausruhe und nichts male, aber spüre, dass ich mit irgendetwas schwanger gehe – und plötzlich ist da das Zeichen. Mit Worten sind solche Zeichen eigentlich nicht zu beschreiben. Natürlich beschäftigen mich bestimmte Themen, meine geliebten „Punkte“ zum Beispiel. Punkte existieren ja in jeder beliebigen Kultur - sie bedeuten Anfang und Ende. Ein Punkt kann ein Stern sein, oder ein Tropfen. Er ist eine Sache, die jeder kennt, auch ohne dass er sie erklärt bekommen hätte".
Maksa ist nicht nur Malerin, sondern beschäftigt sich mit Aktionen, sogenannten Performances. Ihre ersten Kunstaktionen hatte sie schon in Petersburg gemacht, als das Wort Performance noch gar nicht bekannt war. Nach ersten Experimenten mit Schauspielern des Ensembles „DEREVO“ (der Baum) und dem Kontrabassisten Vladimir Volkov, arbeitete Maksa längere Zeit als Solistin.
"Mein Ideal ist die schlichte, klare Performance – minimalistisch, wie das Zeichen. Eine Performance ist eine einmalige Aufführung, in der die Zuschauer eine gewisse Rolle spielen - und in der die Handlung gleichzeitig das Resultat ist".
Maksas Aktionen sind expressiv. „Ost- Paradies- Express“, zum Beispiel, im Hamburger Museum für Völkerkunde realisiert, war eine virtuelle Bahnreise durch Russland. Maksa spielte darin die Rolle der Waggonschaffnerin, servierte Tee in landestypischen Teegläsern und kontrollierte die Fahrscheine. Wer kein Billet vorweisen konnte, wurde zur Strafe übergossen.
Eine neuere Arbeit der Künstlerin ist in der Bildergalerie der Hamburger Kunsthalle zu sehen. Es handelt sich um eine riesige Kuppel aus Plastikfolie, die sie von dieser Welt abschottet. "Ja, sie ist mein Schutzraum und meine Aura, gleichzeitig hilft sie mir, meine innerste Sphäre zu schützen. Das, was jeder Mensch in sich trägt, egal, wo er sich gerade aufhält. Es ist ein Kreis – ein großer Punkt, in dem man sich eindeutig als Mittelpunkt empfindet – es ist auch eine Tarnkappe. Von dort innen aus ist alles sichtbar, denn die Kuppel ist durchsichtig. Sie lebt und bewegt sich. Du kannst sie berühren, sie auch durchstechen, wenn du möchtest, immer wird sie auf deine Bewegung reagieren".
Bewegung und Energie sind für einen Künstler unverzichtbar, genauso wie auch die Einsamkeit. Für Maksa ist die Kunst ein intimer Prozess, sie vergisst dabei alles Übrige. Eigentlich bekommt Maksa ja sehr viel Besuch, ganz besonders am orthodoxen Neujahrsfest, zu dem sie alle Welt einlädt. Aber wehe, es schneit jemand ganz überraschend zur Tür herein!
"Viele Elemente entstehen bei mir mit geschlossenen Augen. Ich gehe in die Versenkung und verliere die Kontrolle. Da bin ich dann vor der Leinwand, ohne alle meine Ausbildungen, ohne einen Rahmen. Dieser Höhenflug ist, wenn er stattfindet, das Fundament auf dem ich stehe. Und wenn ich zurückkehre ist da eine solche Ekstase. Eine Ekstase, die ich niemandem zeigen will. Es gab Situationen, wo genau in diesem Moment jemand spontan zu Besuch kam. Für mich bedeutet das, dass das Bild verdorben ist und ich den Menschen nicht mehr sehen will. Bei der Geburt einer Idee braucht der Künstler, so wie beim Fasten, Einsamkeit, Stille und Selbstversunkenheit".
In der Hansestadt ist Maksa eine bekannte Künstlerin. Die Zeitungen berichten über sie, nicht nur das „Hamburger Abendblatt“, sondern auch „Die Welt“. Ihre zukünftigen Projekte sind unter Anderem die Teilnahme an einer Ausstellung zu Katharina der Großen in Bonn. Auch das Russische Museum in St. Petersburg wird eine Installation von Maksa präsentieren, die „Katharinas Träume“ heißt – das sind Erinnerungen von Kindern an die Industriestadt Jekatarinenburg, Maksas Heimat, einer Stadt in der die Zarin freilich nie gewesen ist.