Über Maksa

Eine vergnügliche Betrachtung über die Zusammenarbeit von MAKSA und Thomas Sello. „Es gibt kein perfektes Bild. Manchmal geht die Sensibilität verloren, dann wird die Arbeit verworfen und die Lust auf das nächste Bild ist umso größer. Kunst ordnet Gefühle, ist Meditation, Kunst schafft Klarheit“.

sello fruechte"Ur-Früchte" auf 150 x 100 cm. MAKSA arbeitete ausschließlich mit Öl auf Karton in einer speziellen Technik, die sie Ende der 1980er Jahre in St. Peterburg entwickelte.Eier? oder sind es Keimzellen, unter dem Mikroskop um Tausendfaches vergrößert, genauso wie ihre Schatten, die so stark vergrößert sind, dass die dunklen Flächen wie Details einer Rembrandtradierung erscheinen, Schraffuren, geätzt, danach mit der Kaltnadel überarbeitet und schließlich auf Plakatgröße aufgeblasen, wie Spaghetti “al dente”.
Und tatsächlich: Es sind gekratzte Vertiefungen, Ritzungen, mit dem Messer geschnitten oder gekratzt, in die dann dunkle Farbe (kein Schwarz!) hinein gerieben wurde, genau wie bei der Radierplatte, wenn man das Bild drucken will. Kaltnadelradierungen, ein Probeabzug, für Kenner das delikateste Sammlerglück. Nur MAKSA's Platten werden nicht gedruckt, Platte und Bild sind eins – ohne Seitenverkehrung, ohne Auflage. Denn wie die Druckplatte behandelt Maksa ihre Bildträger, die glatten Kartons, wenn sie die lasierende Farbe hauchdünn mit der Hand verwischt.
Das war damals anders, als St. Petersburg noch Leningrad hieß und MAKSA in dem von Künstlern besetzten Haus in der Puschkinskaya 10 *) nach Abschluss des Kunststudiums ihre Karriere als Künstlerin begann. Tatsächlich wurden damals die glatt beschichteten Kartons auch als Druckplatten benutzt (für kleine Auflagen), denn Kupferplatten wären viel zu teuer gewesen. Doch bald wurde aus der Not eine Tugend. Beim Betrachten der  Kartons mit der behutsam in die Vertiefungen eingeriebenen Druckerfarbe und den leicht getönten glatten Flächen entstand die Idee: Die Kartonplatten wurden zu Bildträgern umfunktioniert, auf denen die Künstlerin ihre unverwechselbare Handschrift entwickelte mit den kraftvoll eingekrazte Formen und Schraffuren und den zarten, lasierenden Farbverläufen in den Bildgründen. Hinzu kam, im Sinne eines Kontrapunktes, dick auf die glatten Oberfächen aufgetragene Farbpaste, „alla prima“, bei der wir die Spuren der trockenen Pinselzüge erkennen – breite Pinsel für den Anstreicher, die man beim Baumarkt erhält, genauso wie die puddnigartige weiße Wandfarbe aus dem Pott, mit der die Ölfarbe häufig vermischt ist. Dadurch trocknen die dicken Farbpartien schneller und die Bewegung des Pinsels, der Duktus bleibt sichtbar.

sello handDie Farben wurden mit der Hand eingerieben und ausgewischt. Ein sehr aufwendiges und mühsames Verfahren, besonders bei großen Formaten. Aus heutiger Sicht war der häufige Kontakt mit Unmengen von Lösungsmitteln sehr bedenklich.Es sind die billigsten Anstreichfarben **) und auch die Kartons sind von einfachster Machart. Die Liefergröße der Kartonagenfirma bestimmt das Format. Die glatte Oberfläche muss ritzbar sein, eine Eigenschaft, aus der MAKSA im Laufe von Jahren eine faszinierende Künstlerhandschrift entwickelte. Und mit dieser Technik arbeitet MAKSA, seit sie sich als freie Künstlerin 1994 in Hamburg niedergelassen hat. Meine erste Zusammenarbeit mit MAKSA geschah im Jahre 2002 auf Kampnagel. Mit den von uns damals schon längst bewunderten Petersburger Künstlerinnen, den Zwillingen Maria und Natalia Petschatnikov hatte MAKSA eine gemeinsame Ausstellung auf Kampnagel mit dem Titel „Sinnspiele – Spielsinn“. Die Zwillinge experimentierten mit eine Fülle von handgenähten Stoffbeuteln, MAKSA dagegen hatte eine riesige Halbkugel aus hauchdünnen Plastik installiert, schwebend leicht, so dass ein einfacher Ventilator genügte, um das Halbrund wie eine auf dem Boden ruhende Kuppel über die Besucher zu spannen, die durch einen Schlitz zum Ein- und Ausspazieren eingeladen wurden. Dazu hingen an den Wänden ihre kosmischen Bilder mit Punkten, verdichtet zu Gestirnen, Galaxien oder, ganz im Gegenteil, reduziert zu einem einzigen, einsamen Punkt auf der großen Fläche.

Weißt Du wieviel Sternlein stehen, auf dem blauen Himmelzelt?

Ein wenig ins Türkies geht es bei MAKSA. Und doch besteht für mich kein Zweifel, dass MAKSA's kosmischen Bilder auch in der Tradition eines solchen Abendliedes zu sehen sind, dessen Verse 1837 (von Wilhelm Hey, 3 Jahre vor dem Tod von C. D. Friedrich) geschriebenen wurden. Der wunderbare Friedrichsaal der Hamburger Kunsthalle mit rund 15 Gemälden war sicher ein Grund für MAKSA, sich von mir zur enthusiastischen Mitarbeit in der Malschule überreden zu lassen, wo sie bis zu ihrem Tod rund 25 Malkurse leitete. Die Zusammenarbeit begann damit, dass MAKSA ihre schwebend durchsichtige Plastik-Kuppel noch einmal für einen festlichen Anlass der Hamburger Kunsthalle im 16 Meter hohen Lichthof der Galerie der Gegenwart installierte.
 
Ein weiterer Schritt unserer freundschaftlichen Zusammenarbeit war eine Ausstellung im Gemeindesaal der Blankeneser Kirche am Markt. Der Ausstellungstitel lautete „Wachsen“ nicht nur als Wortspiel mit ihrem Namen. Denn es war der Monat Mai, wenn draußen alles grünt und blüht, und in den Kirchen das Lied von Paul Gerhardt erklingt: Geh’ aus mein Herz und suche Freud und „Narzissus“ und die „Tulipan“ besungen werden, schöner als „Salomonis Seide“, wenn Lerche, Täublein, Nachtigall, samt Glucke und ihrem Völklein, in Berg, Hügel, Tal und Feldern von sich hören lassen und sich munter vermehren.
 
Man ahnt auf MAKSA's himmlischen Bildgründen die Schöpfung als Geist Gottes auf der Fläche der Wasser schwebend und hört die Worte: es werde Licht – und es ward Licht.
 
Sieben Tage soll es gedauert haben, bis Gottes Schöpfung mit der Erschaffung des Menschen und dem freien Sonntag vollendet war. Und da uns bereits vor mehr als zweieinhalb Jahrtausenden der 90. Psalm lehrte: „Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache“, können wir bei dem Messen der Zeit der Schöpfung und des Wachstums ruhig auf unsere Uhr verzichten und gewiss sein, dass Gottes Zeit - noch schneller als die Lichtgeschwindigkeit – vielleicht in deutlich weniger als 20 Lichtjahren uns zu unserem frisch entdeckten Bruderplaneten bringen könnte, falls es hier auf Erden durch die ständige Erwärmung zu heiß werden sollte. Dass wir dort Kirchen, Einkaufszentren, praktische Hackenporsche, Computer, Blumen, Bäume und die Mona Lisa (gemalt oder aus echt) antreffen werden, ist unwahrscheinlich. Aber der Geist Gottes, schwebend auf der Fläche des Wassers (wie ihn C. D. Friedrich in einer seiner letzten Zeichnungen vor fast 200 Jahren darstellte), sorgt gewiss auch in jener Welt für das Entscheidende, das Licht und damit auch das Leben.
Und mit diesem Bild sind wir mitten in Maksas Thema. Denn es ist das Licht, das ihren Keimzellen Form und Farben verleiht, ein kraftvolles Leuchten, das für Licht und Schatten sorgt. Sind es riesige Eier, Keime, vielleicht auch tausendfach vergrößerte Urzellen, Amöben oder einfach „Gras und Kraut, die sich besamten, ein jegliches nach seiner Art“, wie das Schöpfungswerk Gottes am dritten Tag in der Genesis beschrieben wird. MAKSA's Urfrüchte auf der Staffelei sind wie die Stillleben von Cézanne, für den der Apfel eigentlich nur noch ein Anlass war, sich zur Malerei zu bekennen, sich für Licht und Schatten zu begeistern und den daraus entstehenden Formen und Farbspielen bis zur reinen Malerei. Ob Cézanne seine Äpfel aß? Wenigstens liebt MAKSA ihre riesige Sammlung von Wodka oder auch Teegläsern wegen des Spiel von Licht und Transparenzen, ohne sich für ihren möglichen Inhalt zu interessieren.

sello kleinEinige Beispiele aus der Serie "Ur-Füchte". Es handelt sich hier um die kleinen Arbeiten (59 x 42 cm). Die "Ur-Früchte" entwickelten sich zu einem weiteren großen bildnerischen Thema von MAKSA.Es spielt keine Rolle, an welchem Ort und in welchem Zustand wir auf ihren Bildern dem Schöpfungsprozess begegnen. Er ist ohnehin nicht abgeschlossen, sondern es entstanden in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder dynamische, lichtvolle Gebilde als immer neuen Variationen in kraftvoller Pinselschrift mit schnell trocknenden Acrylfarben. Die groben Pinsel wurden bereits erwähnt, aber dass sie Hintergründe in lasierenden Farbschichten mit den Händen auftrug, ist noch ein wichtiges Detail. Nur so lässt sich der Kosmos, die Unendlichkeit gestalten, in der alle Formen in der Schwebe zu sein scheinen: Die riesenhaften Keimzelle oder die winzigen, sternbildartigen Punkte, die Geflechte von Linien oder auch gelegentlich satte Farbflächen.
 
Mit einer vergnüglichen Performance wurde im Jahr 2007 MAKSA's Ausstellung „Wachsen“ in der Blankeneser Kirchengemeinde eröffnet. Auf einer Trittleiter standen Maksa und ich uns gegenüber, ich hielt still, sie malte für mich unsichtbar, um anschließend meinen mit großen Strichen skizzierten Kopf aus dem Industriekarton herauszuschneiden. Wieso er nun in dieser Ausstellung wieder unbeschnitten auf dem Bild erscheint, ist ein Rätsel, das nur Kriminologen lösen können, nachdem sie festgestellt haben, dass auf dem Bild die Urfrucht durch einen operativen Eingriff mit Skalpell wieder ins Bild gesetzt wurde: Eine heitere Magie, die ihre Bilder und die von ihr geschaffenen Situationen beseelte.
 
sello schattenMit den "Schatten-Metamophosen" auf dem Großneumarkt in Hamburg konnte MAKSA die Jury überzeugen.Doch zu den lichtvollen Gebilden gehört für MAKSA natürlich auch die Schattenseite. Und darum ging es einst (2005) bei einer Kunstaktion auf dem Großneumarkt, für die sie (unter rund 50 TeilnehmerInnen) mit dem ersten Preis geehrt wurde. Sie hatte den Baumstämmen, Laternenpfählen und was es sonst noch so auf der Straße gab, Schatten auf das Pflaster der Gehwege gemalt, was zu köstlichen Irritationen führte, wenn die Sonne falsch stand – und nachts beim Mondschein sowieso.
 
„Nichts - Punkt - Portrait“ nannten die Hamburger Sammler und Galeristen Heinz und Ulla Lohmann vor vier Jahren die Ausstellung, für die sie auch einen schönen Katalog herausbrachten. Hier erwies sie beim Erfassen des Wesentlichen mit wenigen Pinselstrichen (da muss jeder sitzen!) eine außerordentliche Virtuosität. Doch die unverkennbaren Figuren müssen sich mit den sanften, formlosen Hintergründen als ortlose Heimat begnügen, so wie die Künstlerin sich ständig in Bewegung und in der Schwebe befinden wollte. Ein farbiges Lineament, das vor allem in den letzten Werken eine wichtige Rolle spielt, mag behutsam für Strukturen und Orientierung sorgen. In einem Film aus dem Jahr 2011 gibt MAKSA hierzu wichtige Hinweise.
 
Man mag bei dem dominierenden Blau-Türkis der Hintergründe an die frühen Bilder von Picasso denken, an die melancholischen Menschen am Rande der Gesellschaft. Man soll die Wehmut aber unbedingt mit drei nachdenklich lebensfrohen Zitaten der Künstlerin durchmischen, die es übrigens verstand, wunderbare Neujahrsfeste zu organisieren:
„Die Malerei ist nun mal mein Kloster aber sie ist auch mein Paradies“.
„Es gibt kein perfektes Bild. Manchmal geht die Sensibilität verloren, dann wird die Arbeit verworfen und die Lust auf das nächste Bild ist umso größer. Kunst ordnet Gefühle, ist Meditation, Kunst schafft Klarheit“.
Und auf die Frage, ob man die Kunst ernst oder heiter nehmen soll:
„Humor ist für mich ein hochintellektueller Blick auf die Realität und gleichzeitig ernst, eben beides!“ Das gilt auch für den Arbeitsprozess.

Thomas Sello, 2015

*) Anmerkung der Redaktion: Die Pushkinskaya 10 ist bis heute das Kunstzentrum in St. Petersburg. Die bekanntesten Rockgruppen der Sowjetunion, u.a. "Aquarium", Künstler jeder Richtung, die Gruppe "SVOI" sind damit verbunden. In schwierigen Zeiten wurde das Kulturzentrum (das besetzte Häuserareal) von dem damaligen Bürgermeister St. Petersburgs "Sobtschak" anerkannt.

**) Anmerkung der Redaktion: Aber jedoch die geschätzten und hervorragenden Farben der Leningrader Farbenfabrik für Künstler, die besonders pastos und für diese Technik besonders gut geeignet sind. MAKSA's äußerst luzente Bilder waren nur mit diesen Farben möglich.