„Nichts, Punkt, Porträt“ malerische Zeichnungen - zeichnerische Malerei

Von Ulla Lohmann zur Erinnerung an MAKSA.

Als ich mich bei meinem letzten Atelierbesuch von MAKSA verabschieden wollte, bat sie mich noch schnell in ihre geräumige Wohnküche. Dort holte sie hinter der Glasscheibe eines alten Vitrinenschranks drei gerade mal postkartengroße Fotos hervor.
Es waren Bilder aus ihrer Heimat. Eltern und Bruder sitzen auf einer Bank vor dem Haus. An der Wand hinter ihnen sind unter dem Dachvorsprung sorgfältig aufgehängte Gartengeräte zu sehen, alle ordentlich sortiert. MAKSAS Kommentar dazu: „Es ist nur da, was man braucht. Es gibt nichts Überflüssiges“. Dann sind da noch zwei weitere Aufnahmen von ihrem Elternhaus, diffuse, schemenhaft nächtliche Motive. Das eigentlich Bedeutsame an diesen beiden Fotografien ist auch nicht der Gegenstand. Sie zeigen etwas ganz anderes. In einem dieser Bilder wird die Dunkelheit durch eine eindringliche Farbigkeit von tiefem Rot und Blau beleuchtet. Auf dem anderen Bild schweben dicke helle Schneeflocken vor dem Nachthimmel. MAKSA spricht fasziniert vom Licht, von der Farbe und den Formen.
Zwei Stunden hatten wir zuvor geredet, über ihre Kunst und über ihre Ansichten dazu. Und nun gab sie mir in zwei Minuten diese verblüffend perfekte Zusammenfassung. Damit war eigentlich alles gesagt. Dennoch bleibt aber die Frage, wie es möglich ist aus der ländlich geprägten Umgebung, ohne familiäre Unterstützung und fernab jeglicher Vorbilder von westlich geprägter Hochkultur, am äußersten Rand Europas ein Interesse für die bildende Kunst zu entwickeln und diesem Verlangen gegen alle Widerstände, von denen es mehr als genug gab, zu folgen. MAKSAS Gedankenwelt ist abstrakt und emotional, positiv und doch kritisch, konstruktiv und doch zweifelnd. Immer wieder fordert sie sich selbst heraus und muss sich vielen fremden Herausforderungen stellen. Sie ist anpassungsfähig, aber niemals angepasst. Diese duale Anstrengung zieht sich wie eine motivische Leitlinie durch ihr Leben.

c15 restauratorMAKSA an der Restauratorenschule in Leningrad, um 1988.Schon im Kindergarten zeigten die Jungen und Mädchen wenig Verständnis für ihre ausgeprägte Leidenschaft zum Zeichnen, obwohl sie den eindrucksvollen Künstlernamen MAKSA *) erfunden haben. Und auch der Familie war die Begeisterung der Tochter suspekt. Dennoch setzte MAKSA nach der Schulzeit durch, eine gewerbliche Kunstschule besuchen zu dürfen. Auf dem Lehrplan standen die klassische Ausbildung in Zeichnen und Malen und die Aneignung des technischen Handwerkszeugs. Nach dem Abschluss verspürte sie wenig Lust, sich mit Auftrags- und Monumentalkunst zu beschäftigen. Sie wollte noch etwas anderes kennen lernen. „Ich war jung und idealistisch“ sagt sie und „wollte Lebendigkeit fühlen und Anderes erleben“. Eine Stadt in Russland, mit der man damals derartige Träume verbinden konnte war für sie St. Petersburg. 1979, gerade 22 Jahre alt, zog sie also dort hin. Aber um an der Kunsthochschule Muchina zu studieren brauchte sie Arbeit und eine Wohnerlaubnis und musste eine Vorauswahl für die Aufnahme bestehen. So nahm sie kurzerhand einen Job als Straßenfegerin an und saß dann gelegentlich mit Muskelkater in den Armen in ihren Zeichen- und Malkursen. Die klassische Manier der Ausbildung mit Porträt- und Aktzeichnen wie im 19. Jahrhundert setze sich jedoch im Wesentlichen fort. Und wieder kam eine Zeit in der ihr künstlerische Enge bewusst wurde und sie Neues erfahren wollte. 1987 machte sie aber zunächst ihren Abschluss und unterrichtete zur Abarbeitung ihres Stipendiums an einer Restaurationsschule.
1987 war dann auch das Jahr von Perestroika. Das neue Denken und die neuen Strukturen blieben nicht ohne Einfluss auf die weitere Entwicklung von MAKSA. Erste Ausstellungen und Reisen ins Ausland wurden möglich. Und schließlich kam 1993 eine Einladung in die St. Petersburger Partnerstadt Hamburg. Ein Jahr später entschied sich MAKSA hier zu leben und als freie Künstlerin zu arbeiten.

c15 leiste punktZu dem Thema "Pünktchen" war eine Auswahl von MAKSA in der Ausstellung "Nichts.Punkt.Porträt" der Galerie C15 in Hamburg zu sehen. Ursprünglich stammen diese Bilder (1 - 100 Punkte = 100 Bilder, je nur 21 x 14,8 cm) aus dem Zyklus zu "sinnspiel - spielsinn" auf Kampnagel k3.Seit Beginn der 90-ger Jahre hat MAKSA ihre eigene, unverwechselbare Bildsprache gefunden. Virtuos bewegt sie sich auf den Schnittpunkten von Zeichnung und Malerei, von Motiv und Abstraktion, von großer Farbigkeit und leiser Nuance. MAKSA denkt in die Tiefe ihrer Bilder hinein. Je weiter die Reduktion dabei fortschreitet, umso bedeutsamer werden formale und inhaltliche Klarheit. Ein Prozess, den sie mit hoher künstlerischer Professionalität und philosophischer Reflexion bewältigt. Und dennoch wird sie immer wieder von der Sorge bedrängt, ganz anders arbeiten zu müssen, mehr Wandel und Dynamik zu zeigen. Aber neulich, nach der Hängung dieser Ausstellung, hatte sie den Eindruck, dass ihre Bilder hier im Raum Autonomie und Souveränität vermittelt hätten, sie seien nun eigenständig und selbst bestimmt und der Einfluss der Künstlerin sei abgeschlossen.

„Es gibt kein perfektes Bild“ sagt MAKSA. „Manchmal geht die Sensibilität verloren, dann wird die Arbeit verworfen“. Feingefühl und Erfahrung braucht sie reichlich, um ihre Arbeitstechnik, die von vielen Zufälligkeiten geprägt wird, im Griff zu behalten. Denn nicht Leinwand, sondern starker Karton dient ihr als Malgrund. Mit einem Messer werden Striche eingeritzt und mit dem Pinsel Farbflächen aufgetragen. Dann wird das Bild mit Ölfarbe überstrichen, die sofort wieder weggewischt wird. So entstehen unkalkulierbare Einfärbungen und zufällige Farbfelder, die Arbeit erhält Tiefe und Struktur. In diesem methodischen Vorgehen steckt ein dialogischer Prozess. Die Künstlerin kann von einem bestimmten Zeitpunkt an nur noch in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit dem Material über den Ausdruck ihres Werkes entscheiden.
Dennoch beherrscht sie das Geschehen. Ihr gewandter Umgang mit dem Material ermöglicht das Spiel mit dem Bild, eine Art persönlicher Performance, die etwa in der kontemplativen Wiederholung einfacher konstruktiver Formen liegen kann. Das Ergebnis ist ein kommunikatives Tagebuch und letztendlich eine Art abstraktes Selbstporträt. Das Duale, das Dialogische, das gegenseitige Bedingen, die formalen Korrespondenzen in einem Bild sind für MAKSA ein äußerst wichtiger Aspekt in der Kunst. Dominieren, lösen, schweben, halten sind Begriffe, die sie oft mit ihrer Formensprache verbindet und in die Ambivalenzen der Lebenswirklichkeit von Sein und Bewusstsein überträgt.

c15 haengenDas Hängen der Bilder in der Galerie C15 in Hamburg. MAKSA wusste immer genau wo welche Bilder hängen sollten.„Kunst ordnet Gefühle, ist Meditation. Kunst schafft Klarheit“ meint sie. „Man kann Werte überschauen, das mentale Können überprüfen, eine eigene Ästhetik und Sprache entwickeln.“ Derzeit wagt sie den Spagat zwischen „Nichts“ und „Porträt“. Natürlich ist sich MAKSA darüber im Klaren, dass es in der Kunst nie Nichts gibt. Aber eine Stimmung möchte sie ausdrücken. Das Bild soll sich von der Materie, dem Bildträger, trennen. Konsequent wie sie ist, bekommt das „Nichts“ dann auch keine Signatur.
Wenn MAKSA die Kunst aufräumt, dann räumt sie auch ihren Kopf auf. Stetig ist sie unterwegs, zu erforschen was man wirklich braucht. Der Umgang mit der Kunst ist für sie essentiell, lebensnotwendig. Am Ende unseres Gesprächs sagt sie bedenklich, aber liebevoll: „Die Malerei ist nun mal mein Kloster aber sie ist auch mein Paradies“.

Wir werden diese faszinierende Künstlerin und große Persönlichkeit schmerzlich vermissen.
Ulla und Heinz Lohmann

*) Anmerkung der Redaktion: Im Kindergarten wurde sie "Maksa-Klecksa" genannt. "Maksa" für ihren Nachnamen Maksioutina und "Klecksa" für mit Farbe kleckern. MAKSA wurde dann ihr Name und Markenzeichen.